Mein Weg zur Musikvermittlung

Ich war stellvertretende Solo-Bratschistin im Konzerthausorchester Berlin, und es wurde mir schon nach den ersten Monaten klar: eine 100%ige Orchesterstelle ist nicht das, was ich mir für die nächsten 40 Berufsjahre vorstelle kann! Einerseits fehlte mir Nähe und direkter Kontakt zum Publikum, anderseits hatten – neben der Strenge und dem unflexiblen Dienstplan – meine weiteren künstlerischen und musikalischen Projekte (wie z.B. Streichquartett, Barock-Ensemble, Theater Performances, u.v.m.) keinen Platz mehr.

So fand ich das Orchesterspiel für mich sehr einseitig, und habe mich in meinem künstlerischen, kreativen Gestaltungswillen sehr eingegrenzt gefühlt. Außerdem fing ich an mir Gedanken – oder eher Sorgen – um die Zukunft des klassischen Konzertpublikums zu machen. Das Durchschnittsalter im Publikum war (und ist) erschreckend hoch.

2016 erhielt ich dann ein Stipendium von der Alfred-Toepfer-Stiftung, und hatte ein Jahr lang, neben meines Studiums, nichts anderes zu tun, als herauszufinden, wie mein Berufsleben denn als Musikerin nun aussehen sollte.

Ich fing also an, Privatunterricht im Puppenspiel zu nehmen. Eher durch Zufall kam ich auf die Idee, Musik mit Puppenspiel zu kombinieren. Zu dieser Zeit war ich Stipendiatin der großartigen Initiative Live Music Now von Yehudi Menuhin, und habe gemeinsam mit einem Pianisten sehr viele Konzerte in Altersheimen, Kinder- und Behinderteneinrichtungen u.ä. gespielt. In Orten also, wo die Menschen gehindert sind zu ein Konzertsaal zu fahren. Wir brachten darum Musik direkt zu Ihnen nach Hause. Die schönsten und berührendsten Erfahrungen sammelte ich bei diesen Auftritten.

Unmittelbar vor einem solchen Konzert im Altersheim wurde eines Tages mein Pianist krank, und ich stand etwas verzweifelt alleine in meinem Wohnzimmer und fragte mich: „Was soll ich jetzt machen?“. Das Konzert abzusagen kam überhaupt nicht in Frage, denn ich wusste, dass die Bewohner sich schon seit Wochen auf dieses Konzert freuten – leider gibt es oft so wenig Freude und Lebendigkeit in diesen Einrichtungen –, so dass ich mir schnell eine Lösung überlegen musste …

Aber selbst wenn ich ein 45-Minuten-Programm für Solo-Bratsche parat gehabt hätte, seien wir ganz ehrlich, wäre es wohl eher ein sehr langweiliges Programm geworden. Spontan kam ich dann auf die Idee, dass ich meine Puppe Maximilian mitnehme und zwischendurch zur Abwechslung die Puppe das erzählen lasse, was normalerweise ich oder mein Pianist sonst moderiert hätten. (Maximilian war meine allererste Puppe mit der ich die Spieltechnik der Klappmaulpuppen geübt habe.)

Das Programm war am Ende zwar ein bisschen kürzer als sonst, aber der Konzertraum hatte sich auf eine magische Weise verändert. Noch nie hatte ich so etwas erlebt und mich gleichzeitig noch nie so wohl auf der Bühne gefühlt.

Die Zuhörer wollten nach dem Konzert noch lange mit Maximilian über das Konzert und das Erlebte sprechen. Mich selbst (hinter der Puppe) hat dann niemand mehr direkt wahrgenommen … alle waren gebannt von der Magie der Puppe. (Und ich selbst war gerührt und begeistert über die Wirkung dieses Kuschelwesen.)

2015 gab es ein weiteres Stipendium der Alfred-Toepfer-Stiftung: das concerto21 – eine Sommerakademie für Musiker:innen, die sich mit neuartigen Konzertformaten beschäftigen wollten. Innerhalb von zwei Wochen habe ich u.a. so erleben können, dass es durchaus eine wachsende Community in der klassischen Musikszene gibt, die sich ernsthaft darüber Gedanken macht, ob und wie das „Publikum der Zukunft“ aussehen soll und erreicht werden kann. Dort habe ich dann auch erstmals das Wort Musikvermittlung gehört.

Obendrein wurde ich ermutigt, das Konzept Konzerte mit Puppenspiel weiter zu erforschen, zu experimentieren und auszuarbeiten. Die Idee, Musik und Kreativität zusammen praktizieren zu können, klang sehr verlockend! Es wurde dann in 2014 die Puppenphilharmonie Berlin gegründet und die Debüt-Konzerte gleich in der Berliner Philharmonie mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker sowie zwei Eseln präsentiert.

Ursprünglich hatte ich zwar vor, meine Puppen-Konzerte nur für Erwachsene, die gerne klassische Musik (zuhause oder im Auto) hören, zu konzipieren, aber sich von den traditionellen Konzerthäuser nicht eingeladen fühlen. Ich musste ziemlich schnell feststellen, dass das Wort „Puppe“ in Deutschland aber eher mit „für Kinder“ und „Kasperletheater“ gleichzusetzen ist. Somit wurde die Puppenphilharmonie dann doch ausschließlich für Kinder gebucht. Seit dieser Zeit konnte ich eine ganze Menge Erfahrung im Kinderkonzertbetrieb sammeln.

In 2016 habe ich meine erste Tochter bekommen, und habe bald feststellen müssen, dass man mit Kindern unter vier Jahren so gut wie gar nicht zum Konzert gehen kann. Laut der AGB des Konzerthaus Berlin z.B., sind Kinder unter drei Jahren vom Konzertbesuch generell ausgeschlossen. So entsprang Idee und Wunsch ein Konzerthaus nur für Kinder zu eröffnen. In 2021 – mitten in der Corona-Pandemie – eröffnete das Kleine Lotte Kinderkonzerthaus in Kreuzberg und in 2022 auch in Pankow und Reinickendorf ihre Tore.